Zero Waste Blog: Chance vergeben? Noch nicht ganz!
Die grüne Wirtschaftssenatorin könnte jetzt dafür sorgen, dass Berlin sein Beschaffungswesen an ökologischen Kriterien orientiert. Doch ihr Entwurf für die Novellierung des Vergabegesetzes schafft es nicht, einen zentralen Fehler der bisherigen Praxis zu korrigieren: dass die Ökovorgaben nur in wenigen Fällen greifen.
Zwischen vier und fünf Milliarden Euro gibt die öffentliche Hand in Berlin jährlich für Waren und Dienstleistungen aus. Damit sind Behörden auf Landes- und Bezirksebene und Landesunternehmen wie BSR und BVG ein Akteur mit einer nicht zu unterschätzenden Marktmacht. Um gewisse soziale und ökologische Mindeststandards im öffentlichen Beschaffungswesen durchzusetzen, gibt es schon seit 2010 das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz.[1] Wer Dienstleistungen oder Waren ab einem Wert von 500 Euro an die öffentliche Hand liefern wollte, musste den eigenen Beschäftigten einen Mindestlohn von damals 7,50 Euro zahlen und Umwelt- und Klimaschutzvorgaben beachten. Diese Praxis war aber nur von kurzer Dauer. 2012 löste die CDU die Linke als Juniorpartner der SPD in der Landesregierung ab und setzte durch, dass die Ökovorgaben erst ab einem Auftragsvolumen von 10.000 Euro zu beachten waren.[2]
Genau diese Grenze von 10.000 Euro verhinderte in den Jahren seit 2012, dass das das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz seine Wirkung entfalten konnte. Im Verhältnis zum gesamten Investitionsvolumen im einstelligen Milliardenbereich klingt die Zahl 10.000 vielleicht nicht besonders groß. Dazu muss man allerdings wissen: In Berlin gibt es nicht etwa eine zentrale Vergabestelle, die Büromaterial, Computer, Dienstbekleidung etc. für alle kauft. Nein, es gibt rund 2.000![3] Wenn also beispielsweise jede einzelne Bezirksbibliothek für sich Druckpapier kauft, tut sie das für deutlich weniger als 10.000 Euro. Da in so einem Fall das Vergabegesetz nicht greift, ist es allein der Weitsicht der jeweiligen Beschaffungsbeauftragten überlassen, ob Recyclingpapier oder weißes Frischfaserpapier geordert wird.
Berlin war schon einmal Vorreiter
Schade, dass der Geltungsbereich der Ökokriterien so stark eingeschränkt wird – denn eigentlich hatte die Berliner Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt (VwVBU) in Deutschland Vorbildcharakter.[4] Die Anfang 2019 aktualisierten Leistungsblätter beschreiben sehr gut, welche Eigenschaften die zu beschaffenden Güter haben sollen. Beispiel Aktenordner: Sie bestehen zu 100 Prozent aus ungebleichtem Altpapier und weisen keine Beschichtung aus PVC, ABS oder PS auf.[5] Bei Computern hingegen müssen die Beschaffungsstellen darauf achten, dass die Einzelteile (leicht) auswechselbar und Reparatur und Ersatzteilversorgung gewährleistet sind. Selbstverständlich nennen die Leistungsblätter auch die jeweils relevanten Gütezeichen.
Dass die Wertgrenze von 10.000 Euro das Anliegen der ökologischen Beschaffung konterkariert, kritisiert das Berliner FAIRgabe-Bündnis, in dem sich der BUND mit Gewerkschaften und anderen NGOs zusammengeschlossen hat, schon lange.[6] Umso wichtiger wäre es, die jetzt anstehende Novellierung des Vergabegesetzes für eine überfällige Korrektur zu nutzen und die Wertgrenze auf 500 Euro abzusenken. Doch davon will die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, deren Haus hier federführend ist, nichts wissen – und ignoriert damit den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016, der genau das vorsieht.[7]
Wozu die Grenze?
Warum das Sträuben gegen wirksame Ökokriterien bei der Beschaffung? Wieder einmal muss das Allzweckargument „Entbürokratisierung“ herhalten. Und wie so oft trifft es auch hier nicht zu. Schließlich gelten (aus gutem Grund) auch unterhalb der 10.000-Euro-Wertgrenze schon gewisse Regeln bei der Beschaffung, nur eben nicht die ökologischen. Die Wertgrenze bringt keine Entbürokratisierung. Dass das Vergabewesen nicht kollabiert, wenn man die Grenze auf 500 Euro absenkt, zeigt das Beispiel Friedrichshain-Kreuzberg. Die dortige Bezirksverordnetenversammlung hat die Wertgrenze freiwillig entsprechend gesenkt. Und es funktioniert auch im etwas größeren Rahmen: Bremen hat eine Wertgrenze von null Euro, Hamburg von 1000 Euro.
So weit, so unbefriedigend die Lage in Berlin. Aber noch ist es nicht zu spät, die Novellierung des Beschaffungsgesetzes auf das richtige Gleis zu setzen. Gefragt sind nun die Abgeordneten der rot-rot-grünen Koalition. Sie haben die Chance dafür zu sorgen, dass Berlin seine Einkaufspolitik so gestaltet, dass umweltfreundliche, lang haltbare, reparierbare und wiederverwendbare Waren beschafft werden. Alles, was sie dazu tun müssen, ist, eine unsinnige Grenze zu schleifen.