Zero Waste Blog: Rauchen gefährdet unsere Umwelt

Tschick Walter A Aue Flickr
Dass Zigaretten giftig für Menschen sind, ist schon lange bekannt. Aber wie wirken sie beziehungsweise ihre abgerauchten Reste auf andere Lebewesen? Diese Frage wird erstaunlich selten gestellt, wenn man bedenkt, wie allgegenwärtig weggeworfene Zigarettenkippen in der Umwelt sind.

Zigaretten können über 4.000 verschiedene Chemikalien enthalten, darunter Pestizide, Herbizide, Insektizide und Fungizide. 50 dieser Stoffe sind als krebserregend bekannt.[1] Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben sechs Millionen Menschen jährlich an den Folgen des aktiven oder passiven Rauchens, in Deutschland beläuft sich die Zahl der Tabaktoten auf 120.000.[2] Gleichzeitig stellen weggeworfene Kippen ein großes, aber gesellschaftlich weithin akzeptiertes Umweltproblem dar.

Einer amerikanischen Studie zufolge werden weltweit jährlich 5,6 Billionen Zigaretten geraucht.[3] Die WHO schätzt, dass aber nur jede dritte gerauchte Zigarette im Müll landet, zwei Drittel dagegen auf dem Boden. Nach ihren Berechnungen gelangen so jedes Jahr bis zu 680 Millionen Kilo Zigarettenkippen in die Umwelt.[4] Für EU-Europa bedeutet das jährlich 580 Milliarden Kippen, die nicht sachgemäß „entsorgt“ werden.[5] Besonders stark zeigt sich dieses Phänomen in Großstädten wie Berlin. Forscher*innen der TU Berlin haben 2012/2013 über Monate 20 verschiedene Orte in der Stadt auf weggeworfene Kippen untersucht und eine durchschnittliche Kippenkonzentration von 2,7 Stück pro Quadratmeter festgestellt. Das größte Aufkommen lag bei 48,8 Kippen pro Quadratmeter.[6] Sogar am Standstreifen der Stadtautobahn, wo niemand zum Rauchen verweilt, liegt Zigarette neben Zigarette – dabei hat nun wirklich jedes Auto einen Aschenbecher.

Nikotin tötet nicht nur Menschen

Wie anderer leichtfertig in die Landschaft geworfener Müll landen auch sehr viele Zigarettenkippen früher oder später im Meer. Bei der systematischen Erfassung von angespültem Müll (sogenanntes Spülsaummonitoring[7]) zeigt sich, dass 9 Prozente der Funde an der deutschen Ostseeküste Kippen sind.[8] Betrachtet man nur die Gruppe „Kunststoffe“ – denn nichts anderes sind die aus Zellulose-Acetat hergestellten Filter –, so sind 54 Prozent des Mülls in der Ostsee Zigarettenkippen. Im Schwarzen Meer liegt dieser Wert bei 43 Prozent, im Mittelmeer bei 24 Prozent und im Nordatlantik bei 14 Prozent.[9]

Zigaretten müssen nicht besonders lang auf dem Boden liegen, um Schaden anzurichten. Wenn sie nass werden, reicht eine halbe Stunde, um die Hälfte des im Filter enthaltenen Nikotins auszuwaschen.[10] Eine einzige Zigarettenkippe verunreinigt 1.000 Liter Wasser so stark, dass nicht mehr von „no effect concentration“ die Rede sein kann.[11] Diese Verschmutzung wirkt sich auf Wasserorganismen aus. Seeringelwürmer zum Beispiel reagieren schon bei geringeren Nikotinkonzentrationen, als in den städtischen Oberflächenwasserabflüssen auftreten, sehr sensibel: Sie graben sich länger ein, verlieren deutlich an Gewicht und erleiden Schäden an ihrer DNA. Auch Schäden an Fischen[12] und Schnecken sind nachgewiesen.[13]

Besonders giftiger Kunststoff

Allerdings schädigt nicht nur das Nikotin, das auch gezielt als Insektizid genutzt wird,[14] die Fauna, denn abgerauchte Zigarettenfilter enthalten noch ganz andere giftige Stoffe: Arsen, Blei, Chrom, Kupfer, Cadmium, Formaldehyd, Benzol, Nitrosamine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.[15] Dass all diese Schadstoffe bei nicht ordnungsgemäßer Entsorgung der Zigaretten in die menschliche Nahrungskette gelangen, kann auch die Bundesregierung nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ausschließen.[16]

Darüber hinaus wirken Zigarettenstummel ähnlich wie Plastikteile und andere kleine Fremdstoffpartikel im Wasser oder in der Landschaft: Tiere verwechseln sie mit Essbarem, können sie aber nicht verdauen. Sie sterben dann entweder an den Verstopfungen im Verdauungsapparat oder weil sie bei gefülltem Magen verhungern.[17] Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sich manche Tiere die giftigen Eigenschaften der Kippen zunutze machen. Spatzen bauen gern Kippen in ihre Nester ein, weil das Nikotin Milben tötet. Allerdings nehmen sie dabei in Kauf, dass ihre Erbsubstanz geschädigt wird.[18]

Das Fernsehen macht es vor

Wie kann es passieren, dass so viele Menschen ihre Zigaretten im öffentlichen Raum einfach auf den Boden werfen? Dass sie Kippen nicht als Müll wahrnehmen, ist unwahrscheinlich, denn zuhause benützen sie schließlich Aschenbecher. Experimente haben zudem gezeigt, dass Raucher*innen Kippen am Boden genauso sehen und werten wie Nichtraucher*innen.[19] Aber diese Form der Umweltverschmutzung ist gesellschaftlich akzeptiert – nicht nur im echten Leben, sondern auch Filmen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die ZDF-Serie „Die verlorene Tochter“[20], in deren fünfter Folge die Hauptfigur nur mit einem Handtuch bekleidet am Fenster raucht und die Kippe wie selbstverständlich nach draußen schnippt.

Natürlich ist das Wegwerfen von Kippen schon längst verboten. Laut dem 2019 aktualisierten Bußgeldkatalog kann in Berlin dafür ein Verwarnungsgeld von 55 Euro oder eine Geldbuße von 80 bis 120 Euro fällig werden.[21] Doch dafür muss das Ordnungsamt die Umweltferkel auf frischer Tat ertappen, was so gut wie nie passiert. Im Bezirk Pankow gab es 2019 genau einen einschlägigen Fall, in Charlottenburg-Wilmersdorf 13.[22] In der Hamburger Innenstadt dagegen sind seit Anfang 2018 30 sogenannte Waste-Watcher im Einsatz, die Passant*innen ansprechen, wenn sie Zigaretten oder anderen Müll im öffentlichen Raum fallenlassen, und Bußgelder verhängen. Nach eigener Einschätzung konnten sie das Kippenproblem deutlich reduzieren. Auch Berlin zieht in dieser Richtung nach. In einigen Bezirken sind die Waste-Watcher ebenfalls unterwegs, wir sind gespannt, wie das Konzept hier aufgeht.

„Host an Tschick?“

Vorbild des Hamburger Vorgehens ist Wien, wo die Stadtverwaltung seit über zehn Jahren mit Bußgeldern gegen frisch ertappte Straßenverschmutzer*innen vorgeht.[23] Allerdings beschränkt sich die Strudelmetropole nicht auf die Sanktionierung von Fehlverhalten. Schon 2009 bestückte sie die herkömmlichen Abfalleimer (österr. „Mistkübel“) mit zigarettenförmigen Aschenbechern und der gut lesbaren Frage „Host an Tschick?“ (österr. für Zigarette).[24] Mit einer flankierenden Plakatkampagne wurden die Wiener*innen dafür sensibilisiert, dass die Vermüllung des öffentlichen Raums kein Kavalier*innendelikt ist.[25]

Der Wiener Dreiklang könnte die Richtung für weniger weggeschmissene Kippen weisen: erstens Informations- und Sensibilisierungskampagnen, zweitens mehr und eindeutig zu erkennende Aschenbecher auf Straßen und Plätzen und drittens nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch verhängte Bußgelder gegen diejenigen, die trotzdem ihre Kippen fallenlassen.

Foto: Walter A. Aue, CC BY-NC-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de