Zero Waste Blog: Berliner Scherbenpolitik

Wirliebenunserealtglastonne

In kaum einer anderen deutschen Stadt ist die Altglasentsorgung so bequem wie in Berlin. Genauer gesagt: war. Denn die Entsorgungswirtschaft schafft in vielen Hinterhöfen die Glastonnen ab. Dabei geht es ihr weniger um ein funktionierendes Recyclingsystem als um ihren eigenen schnöden Profit.

Dass wir große Fans des Reparierens sind, war auf diesem Blog schon häufiger zu lesen.[1] Aber soll man reparieren, was gar nicht kaputt ist? „If it ain’t broke don’t fix it“ lautet ein Sprichwort im Englischen, das vor unüberlegten Optimierungsversuchen warnt. Eine solche Verschlimmbesserung müssen wir derzeit im Berliner Abfallwesen beobachten. Das Unternehmen Duales System Deutschland (DSD), das von den Lizenzgebühren der Verpackungshersteller lebt, organisiert die Entsorgung der Glasverpackungen durch verschiedene Entsorgungsunternehmen. In den vergangenen Monaten begann es, ein Drittel der über 90.000 in den Hinterhöfen stehenden Altglastonnen abzuschaffen und sie durch rund 400 zentrale Depot-Container (sogenannte Iglus) auf öffentlichem Straßenland zu ersetzen. Betroffen davon sind vor allem Wohnquartiere außerhalb des S-Bahnrings.

Warum das? Die Berliner*innen trennten das Altglas zu schlecht, behauptet das Unternehmen. So schlecht, dass die Glasindustrie immer wieder drohe, kein Altglas aus Berlin mehr zum Recycling anzunehmen.[2] Wirklich belegen lässt sich diese Behauptung nicht. Eine andere Vermutung liegt dafür sehr nahe: Das Holsystem ist den Entsorgern einfach zu teuer. Für die 400 Iglus am Straßenrand braucht man wesentlich weniger Personal als für 30.000 Hoftonnen, die alle einzeln durch das Treppenhaus auf den Bürgersteig gebracht werden müssen.

Weniger Altglas für das Recycling

Was passiert, wenn die Bürger*innen ihr Altglas nicht mehr in die Hoftonne, sondern irgendwo in ihrem Kiez in ein Iglu einwerfen sollen? Glaubt man dem DSD, dann gelangen in die Iglus weniger Fremdstoffe, die die Altglasaufbereitung stören, etwa Porzellan, Keramik und Fensterglas. Ob das so stimmt? Die meisten „Fehlwürfe“ dürften eher auf Unwissenheit denn auf Faulheit zurückzuführen sein, wie eine aktuelle Straßenumfrage des rbb zeigt.[3] Es mangelt einfach an Abfallberatung. Sicher ist hingegen, dass die Menge der eingesammelten Glasverpackungen drastisch zurückgeht, wenn die Hoftonnen durch Iglus ersetzt werden. Genau das passierte nämlich in Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg, wo Anfang 2014 über 8.000 Altglastonnen aus den Höfen entfernt wurden.[4] Um nicht weniger als 19 Prozent verringerte sich die Menge des eingesammelten Verpackungsglases in den drei Bezirken. Gleichzeitig stieg dort der Glasanteil im Restmüll von 7,9 Prozent auf 11 Prozent.[5]

DSD und die von ihm beauftragten Entsorgungsunternehmen legen keinen Wert darauf, besonders viel Altglas einzusammeln. Schließlich bekommen sie ihr Geld über die Lizenzgebühren, die letztlich die Kund*innen beim Einkauf zahlen. Weniger Glas bedeutet weniger Aufwand bei gleichen Einnahmen. Gar nicht zufrieden mit dem Abzug der Hoftonnen darf aber der Berliner Senat sein, der im Zuge seiner Zero-Waste-Strategie eigentlich auf mehr Recycling setzt.[6] So ist sich die grün geführte Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz selbst gar nicht so sicher, wie sie den mit dem DSD ausgehandelten Tonnenabzug einschätzen soll. Einerseits betont Sprecher Jan Thomsen, der Senat habe die Systemumstellung beim Altglas nicht gewollt, musste sich aber mangels Mitspracherecht den Entsorgerwünschen beugen.[7] (Warum aber dauern dann Verhandlungen jahrelang, wenn die eine Seite kein Druckmittel hat?) Andererseits verteidigt Staatssekretär Stefan Tidow den Tonnenabzug aber als ökologischen Fortschritt, weil man nun auch Braunglas getrennt sammeln könne.[8]

Wo sind die Iglus?

Für viele körperlich eingeschränkte oder ältere Menschen stellt der Weg zum nächsten Iglu ein Problem dar. Und auch die Trennquote von Jungen und Fitten wird nicht besser, wenn sie weit laufen müssen. Bizarres Detail: Von den neuen 400 Iglus stehen viele noch gar nicht, weil die Bezirke sie noch nicht im Straßenland genehmigt haben. Nach rbb-Informationen von Anfang Februar waren bereits genehmigt: in Neukölln 2 von 30, in Steglitz-Zehlendorf 6 von 43, in Spandau 4 von 53, in Reinickendorf 6 von 65 und in Tempelhof-Schöneberg 0 von 64.[9]

Ärgerlich und unnötig, denn Glas ist eine wertvolle Ressource, die nicht im Restmüll landen sollte. Je weniger Altglas recycelt wird, desto mehr neues Glas muss unter großem Energieaufwand hergestellt werden. Noch besser wäre es freilich, Glas vor allem als Mehrwegverpackungen zu nutzen, aber das ist ein anderes Thema.[10]

Der BUND hält den Abzug der Hoftonnen für einen schweren Fehler. Auch wenn andernorts Bringsysteme beim Altglas gut funktionieren, so führt in Berlin der Systemwechsel dazu, dass insgesamt deutlich weniger Glas getrennt gesammelt und recycelt wird. Natürlich lässt sich das Tonnen-Holsystem verbessern. Kleinere Einwurfschlitze sorgen dafür, dass nur Flaschen und Gläser durchgehen, Teller und Spiegel aber draußen bleiben. Die Presse des Sammelfahrzeugs kann so eingestellt werden, dass das Altglas nicht zu feinem Glasstaub zerrieben wird.

Holen wir uns die Tonnen zurück!

Den Verlust der 30.000 Hoftonnen sollte der Senat so schnell wie möglich rückgängig machen, bevor überall außerhalb des S-Bahnrings Tatsachen geschaffen werden. Langfristig wäre es sinnvoll, über den Bundesrat das Verpackungsgesetz so zu ändern, dass die Kommunen mehr Mitsprache bei der Altglassammlung bekommen.

Was kaum jemand weiß: Der Abzug der Hoftonnen hängt von der Zustimmung der Hausverwaltungen beziehungsweise der Eigentümer*innen ab. Wenn diese die Glastonnen im Hof behalten wollen, haben sie ein Recht darauf![11] Das kommt in den Schreiben, die den Abzug der Tonnen flankieren, leider nicht klar zum Ausdruck.

Was tun, wenn die Glastonne plötzlich fehlt?

-          Schreibt an die Hausverwaltung (mit BUND-Vorlage[12])!

-          Schreibt an das Entsorgungsunternehmen (mit BUND-Vorlage[13])!

-          Informiert die Nachbar*innen (mit BUND-Vorlage[14])!

-          Macht mit bei der Petition „Altglastonne retten!“[15]