Zero Waste Blog: Wie weiter mit der Mode?

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Der Flughafen Tegel schließt vorzeitig, einige Berliner Bezirke richten Pop-up-Fahrradspuren ein und die überfischten Kabeljau- und Heringsbestände in Nord- und Ostsee dürfen sich erholen1: Die Covid19-Pandemie hat für die Umwelt durchaus positive Auswirkungen. Und wie sieht es im Modesektor aus, der zu Recht als Klimakiller und Müllschleuder bekannt ist? Sagen wir einmal so: Es wird unübersehbar, was sich in der Textilbranche ändern muss.

Einem Bericht des UN-Umweltprogramms von Ende 2018 zufolge ist die Modeindustrie weltweit für 20 Prozent des Wasserverbrauchs und 10 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, außerdem wird alle zwei Sekunden eine Lastenwagenladung Textilien verbrannt oder deponiert.2 In Deutschland werden jährlich fast 400.000 Tonnen Kleidung weggeworfen, europaweit produziert in absoluten Zahlen nur Italien mehr Textilabfälle (465.000 Tonnen).3 Der größte Teil stammt von den Endverbraucher*innen. Darunter leidet die Second-Hand-Branche, weil sie mit den Massen von Billigklamotten in mieser Qualität nichts anfangen kann.4

Ein gewisser Teil des Textilabfalls besteht allerdings aus nie getragener Neuware. Die Marktforschungsfirma Euromonitor International schätzt, dass 2019 rund 230 Millionen Kleidungsstücke allein in Deutschland unverkauft blieben – das entspricht einem Zehntel des Gesamtangebots.5 Zu denen, die im großen Stil Textilien vernichten, gehörte beispielsweise H & M. Ein dänischer Fernsehsender enthüllte 2017, dass der schwedische Modekonzern seit 2013 jährlich durchschnittlich 12 Tonnen fabrikneue Ware verbrannte.6 Beim dänischen Konkurrenten Bestseller waren es 2016 sogar 49 Tonnen.7 Auch Unternehmen des oberen Preissegments zündeln mit. Das britische Luxuslabel Burberry ließ von 2016 bis 2018 Waren im Gesamtwert von 74 Millionen Pfund verbrennen.8

Der Fluch der Saisonware

Weil der stationäre Handel im März geschlossen wurde, sitzen die Bekleidungsgeschäfte auf einer kompletten Ladung Übergangstextilien, während die Sommerartikel in die Läden drängen. Der Onlinehandel konnte – aus Umweltsicht glücklicherweise – die Ladenschließungen nicht ausgleichen, schließlich finden noch mehr als 80 Prozent aller Verkäufe im Textilsektor im stationären Handel statt.9 Wir müssen keine Prophet*innen sein, um für die nächsten Wochen und Monate bescheidene Umsätze vorauszusagen. Homeoffice und eingeschränktes Sozialleben sorgen für weniger Gelegenheiten, neue Kleidungsstücke vorzuführen, und die Maskenpflicht steigert nicht unbedingt den Funfaktor beim Shoppen.

Wie wird die Branche auf diesen Einbruch reagieren? Der Fast-Fashion-Sektor wird, so ist zu befürchten, so weitermachen wie bisher – verbunden mit drastischen Preissenkungen. Solange die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern sich nicht ändern, bleibt den Primark, Kik und Co. genügend Marge. Andere Töne kommen dagegen aus dem gehobenen Luxussegment, aus der High-End-Mode.

Selbstverständlichkeiten als Revolution

Der Designer Giorgio Armani, dessen Haus als einziges in Mailand die Fashionshows im Februar coronabedingt ohne Publikum stattfinden ließ,10 forderte in einem offenen Brief ein Umdenken der ganzen Branche und damit weniger Kollektionen, weniger Shows, weniger Gigantonomie:11 „Luxus kann und darf nicht schnell sein“. Seine eigene Frühjahrskollektion soll nun immerhin bis September in den Läden hängen. Einem Aufruf des belgischen Designers Dries van Noten, schlossen sich zahlreiche namhafte Modeschöpfer*innen an. Sie fordern, die Wintermode bis in den Winter und Sommermode bis in den Sommer im Handel zu belassen.12

Dass diese Forderung nach einer Selbstverständlichkeit als geradezu revolutionär wahrgenommen wird, zeigt, wie weit die ganze Modeindustrie von nachhaltigem Wirtschaften entfernt ist – da können sich Modehäuser wie Gucci so oft für klimaneutral erklären, wie sie wollen.13 Nachhaltiger Modekonsum kann eigentlich nur eines bedeuten: Second Hand stets als die erste Option betrachten, so wie es etwa der vom Saulus zum Paulus gewandelte Modejournalist Alec Leach empfiehlt.14

Zweite Hand als erste Wahl

„Wiederverwendung first“ sollte auch die Maxime lauten, wenn es um die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Rezession geht. Niemand kann wirklich wollen, dass die trostlosen Einkaufsstraßen mit den überall gleichen Filialisten mühsam – und am Ende noch steuerfinanziert – wiederbelebt werden. Wie schön und vor allem umwelt- und ressourcenschonend wäre es hingegen, wenn Second-Hand-Läden, Änderungsschneidereien, Schuster*innen und Repair-Cafés die Geschäftsstraßen im Jahr 1 n. C. (nach Corona) prägen.

9 Diese Zahl gilt für Großbritannien, dürfte in Deutschland aber ähnlich liegen: https://www.bbc.com/news/entertainment-arts-52394504