Zero Waste Blog: Null Verschwendung - Die Zero Waste Stadt
Was macht eine Stadt zur Zero-Waste-Stadt? Und wer sorgt für die notwendigen Veränderungen? Das wird sich in Berlin in diesem Jahrzehnt zeigen. Im Rahmen des Zero Waste Projektes, welches von der Stiftung Naturschutz gefördert wird, ist dieser Blogartikel entstanden.
Nach Wochen eines schrillen, aber nicht unbedingt inhaltsreichen Berliner Wahlkampfs kommt die Erinnerung etwas überraschend: Ja, auch in der vergangenen Legislaturperiode gab es Momente des parteiübergreifenden Konsenses in der Landespolitik. Und das sogar auf dem polarisierenden Feld des Umweltschutzes. 2018 beschloss das Abgeordnetenhaus einstimmig, Berlin zur Zero-Waste-City zu machen.[1] Zugegeben, es handelte sich dabei nicht um ein „hartes“ Gesetz, sondern nur um eine Handlungsaufforderung an den rot-rot-grünen Senat, die Berliner Abfallwirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft umzuwandeln und einen dafür geeigneten Aktionsplan vorzulegen. Aber immerhin: Alle Parteien scheinen sich grundsätzlich mit dem Leitbild „Zero Waste“, das auf Abfallvermeidung und Wiederverwendung setzt, identifizieren zu können, wobei möglicherweise noch nicht alle erfasst haben, wie eng Müllvermeidung und Klimaschutz miteinander zusammenhängen[2]).
Wie ging es nach dem Zero-Waste-Votum weiter? 2021 verabschiedete das Abgeordnetenhaus mit dem Abfallwirtschaftskonzept (AWK) 2020–2030 jenes Planwerk, das die verbindliche Grundlage für alle Planungsfragen rund um den Berliner Müll darstellt.[3] Auch dieser Beschluss fiel einstimmig, wenn auch bei Stimmenthaltung der Oppositionsfraktionen. Atmet das mit rot-rot-grünen Stimmen beschlossene AWK nun den Geist, der Berlin zur Zero-Waste-Stadt macht? Nun, der Grundgedanke ist deutlich zu erkennen: Abfälle sollen möglichst erst gar nicht entstehen. Einwegprodukte, Verpackungen und Speiseabfälle sollen vermieden, Gebrauchtwaren wiederverwendet und bestimmte Abfallfraktionen wie Bioabfälle und Elektrokleingeräte getrennt gesammelt werden. Die Richtung stimmt, aber schafft das AWK genügend Verbindlichkeit? Das AWK gibt eine gute Richtung vor. Entscheidend wird aber sein, dass die Maßnahmen auch konsequent umgesetzt werden. Wichtig ist vor allem mit Blick auf die Klimaziele Berlins, dass auch nach 2030 die Anstrengungen zur Abfallreduzierung nicht nachlassen sondern weiter intensiviert werden. Eine über das AWK hinausgehende verbindliche Festschreibung der Reduktionsziele wäre wünschenswert und notwendig.[4]
Ziele anstreben oder festschreiben?
Die Abstimmungen zum AWK haben unter den Parteien im Abgeordnetenhaus einen großen Konsens gezeigt. Daher sollte der Festschreibung konkreter Ziele zur Abfallvermeidung in einem Koalitionsvertrag der zukünftigen Regierungsparteien keine große Hürde sein. Als Ergänzung dazu wäre eine Zielvereinbarung der BSR zur Absenkung der Restmüllmenge ebenfalls ein wichtiger Schritt. Für die kommenden zehn Jahre betrachtet das AWK zwei Szenarien. Das Basis-Szenario prognostiziert einen leichten Rückgang des jährlichen Pro-Kopf-Aufkommens von Haus- und Geschäftsmüll von 219 Kilogramm im Jahr 2018 auf 196 Kilogramm 2025 und 182 Kilogramm im Jahr 2030. Im Öko-Szenario sinkt die jährliche Haus- und Geschäftsmüllmenge auf 177 Kilogramm im Jahr 2025 und 151 Kilogramm im Jahr 2030.
Wäre es für eine Stadt, die sich auf den Zero-Waste-Pfad begibt, nicht eine Selbstverständlichkeit gewesen, sich auf die im Öko-Szenario dargelegte größere Müllvermeidung zu verpflichten statt es nur anzustreben? Schließlich muss die Pro-Kopf-Menge mittel- und langfristig deutlich kleiner werden – nach BUND-Auffassung muss die Restmüllmenge bis 2045 auf 50 Kilogramm sinken. Dass derartige Mülleinsparungen durchaus realistisch sind, zeigen Zahlen aus anderen Städten: Freiburg schafft schon heute 113 Kilogramm pro Kopf und Jahr[5], die slowenische Hauptstadt Ljubljana 115 Kilogramm.[6]
Was genau bedeutet überhaupt „Zero Waste“?
Eine Reduzierung des Restmüllaufkommens auf 0,0 Kilogramm ist allerdings weder in den abfallpolitischen Musterstädten Freiburg und Ljubljana noch in Berlin realistischerweise zu erwarten – dient „Zero Waste“ also nur als Symbolbegriff? Ganz und gar nicht, denn sinnvollerweise sollten wir „Zero Waste“ nicht mit „null Müll“, sondern mit „null Verschwendung“ übersetzen. Statt den Fokus auf die Entsorgung zu legen, müssen wir den gesamten Zyklus betrachten, sodass Dinge mit möglichst lang genutzt und mit einem möglichst kleinen Einsatz von Energie und Rohstoffen produziert werden – falls das überhaupt notwendig ist.
Aber zurück zum jüngst verabschiedeten AWK. Wie will dieser Masterplan Berlin zur Zero-Waste-Stadt machen? Sowohl das Basis-Szenario als auch das anspruchsvollere Öko-Szenario setzen an den gleichen Stellen zur Abfallreduzierung an:
- Lebensmittelabfälle sollen vermieden und die unvermeidbaren Küchen- und Gartenabfälle (heute noch größte Einzelfraktion im Hausmüll) konsequent getrennt eingesammelt und verwertet werden. Beim getrennt erfassten Bioabfall hat Berlin viel aufzuholen. Nur 20 Kilogramm pro Kopf und Jahr wurden hier 2016 mit den braunen Tonnen eingesammelt, das ist der letzte Platz im Ranking der größten sechs Städte in Deutschland. Spitzenreiter Hamburg kam auf 36.[7]
- Initiativen zum verpackungslosen Einkaufen soll das Aufkommen der Leichtverpackungen senken. Die dennoch anfallenden Verpackung sollen ebenso wie stoffgleiche Nichtverpackungen und Glas besser getrennt, sprich: nicht wie heute so häufig in die Restmülltonnen geworfen werden.
- Die Wiederverwendung noch gebrauchsfähiger Güter soll unter anderem mit Gebrauchtwarenhäusern und einer Neuausrichtung der BSR-Höfe gestärkt werden.
- Neue Sammelformen sollen die bislang bescheidene Getrenntsammelquote von Elektrokleingeräten verbessern.
Der Unterschied zwischen beiden Szenarien besteht in dem Ausmaß, in dem die Bevölkerung mitzieht. Während das Basis-Szenario davon ausgeht, dass sich ein Drittel der Berliner*innen beim Vermeiden und Trennen beteiligt, rechnet das Öko-Szenario mit der Hälfte bis zwei Drittel. Mit anderen Worten: Ob die Müllvermeidung funktioniert, ist eine Frage der Motivation und Information der Bevölkerung. Liegt es also an den Berliner*innen, wenn der Weg zur Zero-Waste-Stadt ein noch ziemlich weiter ist?
Wissen und Motivation
Klar: Je mehr einzelne Menschen einen ressourcenschonenden Lebensstil pflegen, desto besser klappt es mit der Abfallreduzierung insgesamt. Aber dazu braucht es Unterstützung, (finanzielle) Ermutigung und Information. Angefangen bei der klassischen Abfallberatung an, also mit der Vermittlung grundlegende Kenntnisse beim Mülltrennen und -vermeiden: Welcher Abfall gehört in welche Tonne, wie spart man als Mieter*in Geld bei den Betriebskosten durch Mülltrennung und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Einweg- und Mehrwegpfand, um nur ein paar der wichtigsten Fragen zu nennen, die nicht oft genug beantwortet werden können. Hier müssen sich BSR und andere Entsorgungsunternehmen ebenso wie Vermieter*innen deutlich stärker engagieren als bisher, schließlich zeigen gemeinnützige Organisationen wie der BUND zwar, wie erfolgreiche Abfallberatung funktioniert,[8] sie können diese wichtige Aufgabe aber nicht alleine stemmen.
Es geht aber nicht allein um Wissenstransfer. Viele Berliner*innen engagieren sich heute bereits als Einzelne oder zusammen mit anderen in der Abfallvermeidung. Sei es, dass sie als Privatmenschen unverpackt oder gebraucht einkaufen, Lebensmittel retten oder Dinge reparieren oder mit anderen teilen. Um diese Aktivitäten zu unterstützen, benötigt es nicht mehr Umweltbildung, sondern ganz praktische Unterstützung. Nur einige wenige Zero-Waste-Initiativen sind beispielsweise als Second-Hand- oder Unverpackt-Laden kommerziell orientiert und können ihre Räume selbst finanzieren. Der große Rest – vom Repair-Café über die Sammelstelle für übrig gebliebenes Essen bis zum Umsonstladen für Gebrauchtwaren – ist auf die Gastfreundschaft anderer Institutionen oder auf gemeinnützige beziehungsweise karitative Organisationen im Hintergrund angewiesen. Völlig zu Recht setzt der bisherige rot-rot-grüne Senat in seinem AWK maßgeblich auf die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Gruppen bei der Müllvermeidung. Damit diese aber ihr ganzes Potenzial entfalten können, brauchen sie Platz, was zu Zeiten stark steigender (Gewerbe-)Mieten nicht ganz einfach zu organisieren ist.
Kooperieren statt Verantwortung delegieren
Unterstützung für Zero-Waste-Initiativen heißt aber nicht zwangsläufig nur Geld aus Steuermitteln, obwohl dies natürlich hilfreich ist. In vielen Fällen helfen Kooperationen, etwa wenn Initiativen öffentliche Einrichtungen mitnutzen dürfen. Das wäre nicht nur für die Abfallwende hilfreich. Für Schulen beispielsweise könnte die regelmäßige Kooperation mit Reparaturinitiativen eine wertvolle praktische Ergänzung der eigenen Bildungsarbeit darstellen.
Wie viele Berliner Zero-Waste-Initiativen schon auf den verschiedensten Gebieten tätig sind und wie vielfältig die Möglichkeiten für die Berliner*innen sind, selbst Abfall zu vermeiden, zeigt der interaktive Zero-Waste-Stadtplan ReMap.[9]
[1] https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-0564.pdf
[2] https://umweltzoneberlin.de/2021/09/23/wahl-blog-10-warum-muell-nicht-die-neue-kohle-werden-darf/
[3]https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/kreislaufwirtschaft/strategien/abfallwirtschaftskonzepte/abfallwirtschaftskonzept-2020-bis-2030/
[4] https://www.bund-berlin.de/service/presse/detail/news/macht-das-abfallwirtschaftskonzept-berlin-zur-zero-waste-hauptstadt/?tx_bundpoolnews_display%5Bfilter%5D%5Btopic%5D=28&cHash=6001a28ec4d469287176aea6f211c27e
[5] https://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/2_Presse_und_Service/Publikationen/Umwelt/Abfallbilanz-2020-barrierefrei.pdf
[6] https://www.theguardian.com/cities/2019/may/23/zero-recycling-to-zero-waste-how-ljubljana-rethought-its-rubbish
[7] Vgl. AWK S. 59
[8] https://tschuess-plastik.berlin/mitmachen/
[9] https://www.remap-berlin.de/karte
Foto: Pixabay / Filmbetrachter