Zero Waste Blog: Oh Tannenbaum - wie grün ist deine Ökobilanz?

Ersatzbaum Sp

Alle Jahre wieder stellt sich im Dezember die Weihnachtsbaumfrage. Groß oder klein, dick oder dünn, schief oder gerade, öko-zertifiziert oder konventionell, in Plastik oder in echt. Oder vielleicht überhaupt nicht? Ein Evergreen des ökologischen Abwägens.

Wer gerne über den Verlust von althergebrachten Bräuchen jammert, sollte sich einmal die Absatzzahlen von Weihnachtsbäumen in Deutschland ansehen, um sich anschließend beruhigt zurückzulehnen. Denn diese sehr deutsche Tradition, die sich im 19. Jahrhundert auf weite Teile der westlichen Welt ausgedehnt hat,[1] ist äußerst lebendig und sogar im Wachstum begriffen. 29,8 Millionen Weihnachtsbäume wurden 2019 in der Bundesrepublik verkauft, das sind 4,8 Millionen mehr als noch im Jahr 2000.[2] Deutlich weniger als ein Zehntel der Bäume, nämlich 2,3 Millionen, kamen aus dem Ausland, überwiegend aus Dänemark.[3] Um den großen Rest großzuziehen, wurde deutschlandweit eine Fläche von 15.900 Hektar genutzt[4] – das ist 53-mal das Tempelhofer Feld.

Bei über 83 Millionen Einwohner*innen kommt statistisch gesehen auf etwas mehr als jede dritte Person ein eigener Weihnachtsbaum – Jahr für Jahr. Wir haben es also gern ziemlich grün in unseren Wohnzimmern. Aber wie grün ist die Baumproduktion wirklich? Zwar gibt es bundesweit mittlerweile 800 Orte, an denen Weihnachtsbäume mit Öko-Zertifikat verkauft werden, 2014 waren es erst 100. Dennoch liegt der Marktanteil der ökologisch aufgezogenen Bäume immer noch bei nur 0,6 Prozent, wie die Umweltschutzorganisation Robin Wood jüngst ermittelt hat.[5] Das bedeutet: Bei 99,4 Prozent der Christbäume ist die Produktion mit dem Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden sowie Mineraldünger verbunden beziehungsweise deren Einsatz kann zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Das Gift gehört dazu

Dass es sich beim Gifteinsatz in der Christbaumschule keineswegs um ein theoretisches Problem handelt, zeigen die Stichproben, die der BUND regelmäßig an den in Deutschland verkauften Weihnachtsbäumen vornehmen lässt. In der Weihnachtssaison 2020 testete ein unabhängiges Labor im BUND-Auftrag 23 Bäume unterschiedlicher Herkunft auf fast 140 Pestizide.[6] Ergebnis: In 14 von 23 Fällen wurden tatsächlich Pestizide nachgewiesen, bei einem Viertel auch mehr als ein Pestizid. Mit dem Insektizid Lambda-Cyhalothrin enthielten sieben Proben das stärkste beziehungsweise schädlichste derzeit in der EU zugelassene Pestizid, das für Bienen und Wasserlebewesen hoch giftig ist. In zwei Fällen wurden Pestizide nachgewiesen, deren Einsatz in Deutschland entweder gar nicht oder nicht für den Weihnachtsbaumanbau zugelassen ist. Dieser wenig erbauliche Befund war übrigens kein Ausreißer. Auch in den Vorjahren wurde das Labor fündig, 2017 zum Beispiel bei 13 von 17 analysierten Bäumen.[7]

Die eine Frage ist, ob man die Monokulturen mit all ihren negativen Folgen für Böden, Wasser und Tiere durch den Kauf eines Baums unterstützen möchte. Die andere, ob der im Christbaum enthaltene Giftcocktail in der guten (und gut geheizten) Stube am rechten Platz ist. Um auf Nummer sicher zu gehen, empfiehlt sich, einen Weihnachtsbaum aus ökologisch ausgerichtetem Anbau zu kaufen. Ein Siegel von Bioland,[8] Naturland[9] oder Forest Stewardship Council (FSC)[10] garantiert, dass die Böden weder entwässert noch mit Mineraldünger gedüngt werden und dass keine Pestizide zum Einsatz kommen. Unerwünschtes Beikraut wird entweder von Menschenhand oder von Schafen beseitigt. Robin Wood hat eine Liste der Verkaufsstellen von Öko-Weihnachtsbäumen zusammengestellt,[11] im Schnitt sind die Bäume mit Bio-Zertifikat rund zehn Prozent teurer als die konventionellen. Wer in einer waldreichen Region wohnt, bekommt mit etwas Glück eine Tanne, Fichte oder Kiefer aus dem Wald als Alternative zur Plantagenware – wenn das örtliche Forstamt völlig unabhängig von Weihnachten Jungbäume aus dem Bestand ausdünnt. Fragen schadet nicht.

Nutzen statt besitzen?

Warum überhaupt einen gefällten Baum ins Wohnzimmer stellen, fragen sich immer mehr Menschen. Kein Wunder, dass Weihnachtsbaumanbieter diesem Trend folgen und lebende Bäumchen im Topf anbieten. Klingt sympathisch, funktioniert aber nur bedingt. Beim Ausgraben und Eintopfen können die Wurzeln so starke Schäden erfahren, dass sie später nicht mehr anwachsen. Wie bei den üblichen geschlagenen Weihnachtsbäumen ist hier durchaus damit zu rechnen, dass sie aus einer Monokultur stammen und einiges an Pestiziden abbekommen haben. Fraglich ist auch, was man Jahr für Jahr mit einem Nadelbaum im Topf macht. Alle im Garten – falls vorhanden – einpflanzen? Fun fact: Die eigentlich aus dem Kaukasus stammende, heute als Standard-Weihnachtsbaum beliebte Nordmanntanne kann bis zu 60 Meter hoch werden.

Wer keine Verwendung für einen eigenen Nadelbaum hat, kann sich über Weihnachten auch einen mieten. Rent-a-tree ist ein relativ neues Geschäftsmodell, das es bisher in Berlin, Hamburg, München und Mainz gibt und sich an Menschen wendet, die ihren Christbaum nach den Festtagen nicht wegschmeißen wollen. Je nach Größe kostet die Mietgebühr zwischen zehn und 40 Euro zuzüglich Kaution. Die Verleihfirma verspricht, die Bäume im Topf zu ziehen, sodass sie nicht ausgegraben werden müssen. Wenn sie nach ein paar Jahren zu groß für den Verleih geworden sind, sollen sie für Wiederaufforstungsprojekte genutzt werden.[12] Nachteil dieses Sharing-Modells: Weil die deutschen Weihnachtsbaumkäufer*innen auf Nordmanntannen fixiert sind, haben die Baumverleihdienste nur sie im Programm. Wenn die Nordmanntanne das Ende ihrer Verleihbarkeit erreicht hat und ausgepflanzt wird, kommt sie als nicht-einheimische Art in das empfindliche Ökosystem Wald. Weiteres Risiko: Wenn die Tanne längere Zeit während des Winters im warmen Wohnzimmer steht, kann sie verfrüht zu keimen beginnen, was die Lebenserwartung herabsetzt.

Eine weitere Methode, weniger Weihnachtsbäume aus Monokulturen zu verbrauchen, wäre natürlich, wenn mehr Menschen einen Baum gemeinsam nutzen. Da dies zu Zeiten einer Pandemie wenig ratsam ist, heben wir uns diesen Tipp für die nächsten Jahre auf. Also vielleicht besser gar keinen Christbaum?

Plastik rentiert sich nicht

In den letzten Jahren bietet der Handel immer mehr Kunststoff-Weihnachtsbäume an; eine Google-Suche nach „plastik weihnachtsbaum kaufen“ bringt aktuell sage und schreibe 8,4 Millionen Ergebnisse. Zugegeben, die Wiederverwendungsidee hat auf den ersten Blick einen gewissen Charme. Aber brauchen wir wirklich noch mehr Plastikprodukte, mehr Erdölprodukte? Die Baumattrappen kommen nicht etwas aus einem Werk für Recyclingkunstwerke, sondern wie der meiste andere Plastikplunder frisch aus einer Fabrik in Fernost. Nach Robin-Wood-Berechnungen kann der Plastikbaum frühestens nach 20 Jahren eine positive Klimabilanz gegenüber den geschlagenen konventionellen Weihnachtsbäumen haben. Dass jemand aber 20 Jahre in Folge den Plastikbaum der echten Tanne vorzieht, erscheint doch extrem unwahrscheinlich. Der Plastik-Weihnachtsbaum ist also keine gute Alternative, im Gegenteil. Wobei gegen selbstgemachte Weihnachtsbaumattrappen aus Dingen, die man ohnehin schon im Haus hat, natürlich nichts einzuwenden ist.[13]

Apropos CO2-Bilanz: Je mehr ein Baum durch die Welt kutschiert wird, desto weiter entfernt er sich von der Klimaneutralität, die er als kohlenstoffspeichernde Pflanze prinzipiell hat. Das gilt für die Mobilität eines Mietbaums ebenso wie für Transporte von geschlagenen Weihnachtsbäumen, die nicht aus der unmittelbaren Umgebung kommen. Ohnehin sollten wir die Funktion von Weihnachtsbäumen als CO2-Senke nicht überschätzen, denn richtig viel von dem Treibhausgas speichern junge Bäume ohnehin nicht. Anders gesagt: Jeder Baum, der gefällt wird, ist einer, der kein weiteres CO2 bindet.

Wenn wir uns dazu durchringen, die Weihnachtsbaumfrage nicht unter sinnlich-ästhetischen, sondern unter ökologischen Gesichtspunkten zu behandeln, dann läuft alles darauf hinaus, keinen Baum im Haus zu haben. Sehr viel würde – auch und gerade unter Klimaaspekten – für Engagement für mehr Bäume sprechen. Ob Straßenbäume in Berlin,[14] Regenwaldprojekte auf verschiedenen Kontinenten oder Die Große Grüne Mauer,[15] die die Ausbreitung der Sahara in die Sahelzone aufhalten soll: Die Auswahl an sinnvollen Spenden für Baumpflanz- oder Baumschutzprojekte ist mit Sicherheit wesentlich größer als die an unterschiedlichen Arten im Weihnachtsbaumverkauf.

 

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Christmas_tree

[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/372294/umfrage/absatz-von-weihnachtsbaeumen-in-deutschland/

[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_N084_p001.html

[4] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_N084_p001.html

[5] https://www.robinwood.de/pressemitteilungen/o-tannenbaum-wie-gr%C3%BCn-bist-du-0

[6] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-testet-weihnachtsbaeume-rund-zwei-drittel-mit-pestiziden-belastet-auch-stark-bienengefaehrliche-mittel-im-einsatz

[7] https://www.bund-bawue.de/service/pressemitteilungen/detail/news/weihnachtsbaeume-im-bund-test

[8] https://www.bioland.de/verbraucher

[9] https://naturland.de/de/

[10] https://www.fsc-deutschland.de/de-de

[11] https://www.robinwood.de/schwerpunkte/okologische-weihnachtsbaume

[12] https://taz.de/!5821384

[13] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/feste-feiern/weihnachten/27343.html

[14] https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/stadtgruen/stadtbaeume/stadtbaumkampagne

[15] https://www.klimareporter.de/international/afrika-bekommt-grosse-gruene-mauer