Zero Waste Blog: 85 Kilo sind zu viel

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Bei der Lebensmittelverschwendung ist es wie bei etlichen anderen Umweltthemen. Die Problemlage ist bekannt, Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch, aber es verändert sich zu wenig. Das gilt allerdings in erster Linie für Staat und Wirtschaft, denn in der Zivilgesellschaft mehren sich die Initiativen, dem besinnungslosen Wegwerfen ein Ende zu bereiten.

Die gute Nachricht ist: Die Menge der in den Haushalten Deutschlands weggeworfenen Lebensmittel ist nicht gestiegen. Sie ist aber auch nicht gesunken, das ist die weniger gute Nachricht. Vielmehr liegt sie seit Jahren mehr oder weniger konstant bei sieben Millionen Tonnen, das sind 85 Kilo pro Kopf und Jahr. Von diesen 85 Kilo sind 37 Kilo theoretisch vermeidbar, so aktuelle Forschungsergebnisse der Universität Stuttgart.[1] Damit macht das von Privathaushalten entsorgte Essen den mit Abstand größten Teil der rund elf Millionen Tonnen weggeworfene Lebensmittel aus, nämlich 55 Prozent. Der Rest entfällt auf die Lebensmittelverarbeitung (17 Prozent), den Außer-Haus-Verzehr (13 Prozent), die Landwirtschaft (11 Prozent) und den Handel (4 Prozent).[2]

Da das Problem Lebensmittelverschwendung hinlänglich bekannt ist, dürfte man eigentlich erwarten, dass in Regierungskreisen fieberhaft an einer Lösung arbeitet. Nach allem, was bekannt ist, kann davon aber nicht wirklich die Rede sein. Die auf Bundesebene verantwortliche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) setzt ausschließlich auf Verbraucher*innen-Aufklärung, nicht aber auf strukturelle Änderungen. Von ihrem CSU-Vorgänger hat sie die Kampagne „Zu gut für die Tonne“[3] geerbt, die der Bundesrechnungshof als schlecht vorbereitet rügte.[4]

Politisch kommt wenig aus Berlin

Auf Länderebene sieht die Situation naturgemäß etwas differenzierter aus. Im Auftrag der Umweltstiftung WWF untersuchte die Fachhochschule Münster 2017, was die Bundesländer bislang unternommen haben. Nachdem sie analysiert hatten, inwiefern die Länder Lebensmittelabfallvermeidung als strategisches Ziel formuliert, die Kreislaufwirtschaftsgesetze und Abfallwirtschaftspläne darauf zugeschnitten, die notwendige Datenbasis geschaffen und Maßnahmen vorgeschlagen haben, kommen die Forschenden zum Fazit: Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen gehören zu den Pionieren, Berlin mit den übrigen Ländern eher zu den Nachzüglern.[5]

Dass Lebensmittelverschwendung durchaus auf staatlicher Ebene bekämpft werden kann, zeigen andere europäische Länder. In Frankreich sind Supermärkte ab einer Ladenfläche von 400 Quadratmetern dazu verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu spenden. Im Gegenzug dürfen die Unternehmen 60 Prozent des Wertes der gespendeten Waren von der Steuer abziehen. Bei Zuwiderhandeln droht eine Geldstrafe von bis zu 3750 Euro.[6] In Tschechien gilt seit 2018 ein vergleichbares Gesetz, allerdings kann hier die Geldstrafe bis zu umgerechnet 390.000 Euro betragen.[7] Italien hingegen setzt seit 2016 darauf, Unternehmen das Spenden leichter zu machen – mit Steuererleichterungen und der Erlaubnis, fehlerhaft gekennzeichnete und „abgelaufene“ Lebensmittel abzugeben.[8] Am meisten Aufsehen erregte allerdings die Kampagne für die Einführung von „Family Bags“ in Restaurants. Was die damalige Umweltstaatssekretärin Barbara Degani ein „semantisches Upgrade“ der Doggy Bags nannte,[9] kam einer kleinen Revolution gleich, schließlich war es in Italien bislang verpönt, Essensreste zum Mitnehmen einpacken zu lassen.[10]

Die Unternehmen scheuen den Aufwand

Und in Deutschland? Bei uns ist es immer noch strafbar, genießbare Lebensmittel aus der Mülltonne eines Supermarkts zu nehmen: Diebstahl, oft in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Immerhin kommt aus Hamburg nun ein Vorstoß, das Containern zu legalisieren.[11] Dass der Handel davon nicht begeistert ist, überrascht kaum, schließlich ist das Wegwerfen die schnellste, einfachste und damit billigste Methode, Unverkäufliches loszuwerden – auch wenn die Lobbyist*innen beteuern, nur solche Lebensmittel zu entsorgen, die nicht an die Tafeln abgegeben werden können oder dürfen.[12]

Die Frage, was mit Lebensmitteln in der Tonne geschehen soll, geht allerdings am entscheidenden Punkt vorbei: Wie können wir dafür sorgen, dass weniger rein kommt? Die Antwort führt wie so oft zur Suffizienz: nur noch das produzieren, verkaufen, kaufen und kochen, was tatsächlich benötigt wird. Wer erwartet, bis kurz vor Ladenschluss sämtliche Brotsorten ofenfrisch zur Auswahl zu haben, muss damit leben, dass massenhaft Backwaren weggeworfen werden. Wer einmal pro Woche einen Obst- und Gemüsegroßeinkauf tätigt, weil das so praktisch ist, darf sich nicht wundern, wenn plötzlich doch zu viel im Kühlschrank ist.

Besser auskommen mit dem, was da ist

So lautet das Gebot der Stunde. Dabei helfen in Berlin immer mehr Projekte, manche kommerziell, manche ehrenamtlich. Um nur einen Ausschnitt zu nennen:

Der Verein Restlos glücklich[13] zaubert fantastische Menüs aus geretteten Lebensmitteln, veranstaltet Kochkurse für Jugendliche und organisiert Catering. Foodsharing.de[14] vernetzt die Community; an ihren „Fairteiler“ genannten Sammelpunkten wechselt überschüssiges Essen den Besitzer.

Über die Apps Resq[15] und Too Good To Go[16] verkaufen Läden und Restaurants zu bestimmten Zeiten frische Waren zu stark reduzierten Preisen. Bäckereien, die kurz vor Ladenschluss Backwaren sehr günstig abgeben, lassen sich damit fast in jedem Kiez finden, nicht selten sind Hotels vertreten, die die Reste ihrer üppigen Frühstücksbuffets loswerden wollen, und gelegentlich gibt es Erschwingliches in Restaurants, die normalerweise Höchstpreise aufrufen.[17]

Das vegane Restaurant Frea[18] hat den Anspruch, überhaupt keinen Müll zu produzieren (unvermeidliche Abfälle wie Kartoffelschalen oder Reste von Tellern kommen in die hauseigene Kompostiermaschine), während die Teigtaschenmanufaktur Dingsdums[19] überwiegend Zutaten verwendet, die andernfalls vernichtet worden wären, obwohl sie einwandfrei sind.

Solche Waren zu retten, ist auch die Mission des Supermarkts Sirplus. In seinen mittlerweile vier Filialen stehen vor allem solche Produkte in den Regalen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Nichtsdestotrotz sind die Waren noch genießbar. Der „Rettermarkt“ wendet sich an Menschen, die ihren eigenen Sinnen mehr vertrauen als einem mehr oder weniger willkürlich aufgestempelten Datum.

Haben wir eine Foodsaving-Initiative übersehen? Dann freuen wir uns über einen Hinweis an zerowaste@BUND-Berlin.de!

Foto: Foerster, Creative Commons CCO 1.0, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en